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Die Geschichte der Gemeinde Osterfeld

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Das Amt Osterfeld

Im April 1891 genehmigt das Preußische Innenministerium die Bildung des Amtes Osterfeld und am 1. Juli 1891 wird der Ort endlich mit 5.400 Einwohnern selbständige Gemeinde. An diesem Tage führt der Königliche Landrat von Reitzenstein während einer Gemeinderatssitzung den "kommissarischen" Amtmann Werner Langweg in sein Amt ein. Als Diensträume bezieht die Verwaltung – sie besteht neben dem Amtmann aus einem Amtssekretär, zwei Gendarmen und einer Amtshilfe – zwei Zimmer im Hause König.
Diese provisorische Lösung geht auf einen Ratsbeschluß vom 13. Juni 1891 zurück, in dem es heißt:
Obgleich der neue Amtmann für hier noch nicht ernannt ist, erscheint es bei der Kürze der Zeit doch räthlich, schon jetzt die demnächstigen Amtsräume sicherzustellen. Die dafür im Hause der Witwe König gebotene Gelegenheit – 2 Zimmer im Erdgeschoß mit besonderem Hauseingang – erscheint dafür ganz passend und da auch der geforderte Mietzins von monatlich 25 M annehmbar befunden wird, so beschließt die Versammlung das Anerbieten der Witwe König zu acceptiren. Die benötigten Ausrüstungsgegenstände – Tisch, Stühle, Ofen pp. – stellt Witwe König ohne weitere Entschädigung. Die definitive Einrichtung des Bureaus soll bis Eintritt des neuen Amtmanns auf sich beruhen bleiben.

(Akten des Amtes Osterfeld)

Der Notbehelf bleibt zunächst einmal bestehen, denn die Grundsteinlegung für das "Amtshaus" wird erst am 16. Mai 1894 erfolgen.

Am 27. Februar 1892 macht der Landrat die Osterfelder Gemeindeversammlung mit dem Beschluß des Kreisausschusses bekannt, Langweg dem Oberpräsidenten zur "definitiven Anstellung" vorzuschlagen. Im Sitzungsprotokoll kann man lesen:
Wir sind mit der Amtsführung des Herrn Langweg in jeder Beziehung zufrieden. Derselbe hat sich unser volles Vertrauen erworben und sich als ein tüchtiger Beamter bewährt. Wir stimmen deshalb dem Beschlusse des Kreisausschusses gerne bei und wünschen und beantragen hiermit gleichfalls die definitive Anstellung des Herrn Langweg als Amtmann von Osterfeld.
(Akten des Amtes Osterfeld)

Die endgültige Anstellung des ersten und einzigen Amtmannes in Osterfeld wird dem Gemeinderat in der Sitzung am 20. April 1892 bekanntgegeben.

Das Jahr 1891 bringt dem jungen Amt Osterfeld einen weiteren Entwicklungsschub. Im November nimmt die Eisenbahnverwaltung den ersten Bauabschnitt des Sammel- und Rangierbahnhofs in Betrieb. Das neue Bahngelände erstreckt sich vier Kilometer lang und 300 Meter breit parallel zur Emschertalbahn in Richtung Vonderort. Osterfeld ist auf dem besten Wege, sich zu einem wichtigen und bekannten Eisenbahnknotenpunkt im Güterverkehr zu mausern.

Geschichte 18
Bild 18: Sammel- und Rangierbahnhof 1920

Der Wohnungsbau in der Gemeinde kann mit diesem stürmischen Wachstum leider nicht Schritt halten.
Die Wohnungsverhältnisse für die Mieter werden hier immer ungünstiger und die Preise für die Wohnungen von Tag zu Tag teurer; zwar sind in dem verflossenen Sommer sehr viele Neubauten errichtet worden und viele sind noch in Arbeit, aber alles genügt noch nicht. Es finden sich schon Liebhaber zum Mieten für Bauten, die erst in der Entstehung begriffen - oder sogar erst geplant sind. Noch größer wird die Nachfrage im nächsten Jahr nach Wohnungen werden, wenn die Eisenbahnwerkstätte fertiggestellt sein wird und die alsdann dort beschäftigt werdenden Personen sich zum Herüberziehen anschicken müssen. Mit Bestimmtheit ist anzunehmen, dass dann wieder mehrere hundert Familien Wohnungen brauchen.

(Rhein- und Ruhrzeitung vom 13. November 1891)

Auch auf dem Gebiet des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs tut sich etwas, denn beinahe bekommt Osterfeld schon 1891 einen Straßenbahnanschluß. Die Essener Straßenbahngesellschaft will nämlich ihre Linie nach Borbeck bis Osterfeld verlängern.

Der Osterfelder Gemeinderat unterstützt den Plan, der die Probleme mit der schlechten Eisenbahnverbindung nach Essen beseitigen kann. Das Projekt scheitert, weil die Preußische Eisenbahnverwaltung weder die Benutzung der vorhandenen noch den Bau einer neuen Brücke über den Rangierbahnhof Frintrop genehmigt.
Dafür steht den Bürgern seit dem 1. April 1893 die Fahrpost nach Bottrop zur Verfügung, wenn sie z. B. etwas bei den für sie zuständigen Behörden, wie Amtsgericht, Finanzamt oder Katasteramt, zu erledigen haben. Die Kaiserliche Oberpostdirektion schreibt dazu in bestem Amtsdeutsch an den Chef der Osterfelder Verwaltung:
Vom 1. April 1893 ab wird zwischen Bottrop und Oberhausen (Rheinland) über Osterfeld (Westf.) ein zur Postbeförderung dienendes Privat-Personen-Fuhrwerk mit folgendem Gange eingerichtet: aus Bottrop 12 15 N., durch Osterfeld 12 35/40 N., in Oberhausen 15 N.; aus Oberhausen 2 5/10 N., in Bottrop 2 40 N.

(Akten des Amtes Osterfeld)

Bald können die Osterfelder auch ihre Bankgeschäfte am Ort tätigen, denn die Gemeinde gründet am 1. November 1893 die Gemeindekasse zu Osterfeld in Westfalen. Der Amtmann informiert die Bewohner über diese Neuerung am 24. Oktober im Osterfelder Anzeiger.
Mit dem 1. kommenden Monats wird hier eine Gemeindesparkasse ins Leben treten. Das Kassenlocal befindet sich in dem Hause des Bauunternehmers Franz Kleine-Brockhoff, hierselbst. Als Rendant der Kasse fungiert der Communalempfänger Reisen, hierselbst…

In der Anzeige verspricht das Institut, die gewährten Zinsen im Gegensatz zur Konkurrenz in Oberhausen nicht vom Stand oder Beruf des Sparers abhängig zu machen, sondern alle Einlagen einheitlich mit 3¾ % zu verzinsen. Die Kunden müssen nicht einmal persönlich erscheinen; es reicht aus, die Unterlagen mit der Post einzusenden.
Mit dem Bau eines Rathauses beschäftigt sich der Gemeinderat seit 1893. Nach vielem Hin und Her entscheidet er, das Gebäude nach den Plänen des Unternehmers Wilhelm Klüsener auf einem Grundstück neben der Wirtschaft Fischedick an der Hauptstraße errichten zu lassen. Diesem Vorhaben stimmen der Kreisausschuß in Recklinghausen und die Landesbauinspektion in Dortmund Anfang 1894 zu.

Geschichte 19
Bild 19: Amtshaus um 1900

Mit der Grundsteinlegung am 16. Mai beginnen die Bauarbeiten, die offensichtlich zügig durchgeführt werden, denn schon am 8. November übergibt der Landrat Graf von Merveldt der Gemeinde in einer Feierstunde ihr "Amtshaus".

Bis 1895 steigt die Zahl der Einwohner Osterfelds auf 7.400, die Zeche Osterfeld beschäftigt in diesem Jahr 1.700 Mann. Viele Bergleute wollen nach der Schicht in geselliger Runde ein Bier oder auch einen Schnaps trinken, die zwar zahlreichen Wirtschaften berücksichtigen jedoch mit ihren Öffnungszeiten meistens nicht die Schichtzeiten ihrer potentiellen Gäste. Deshalb gründen geschäftstüchtige Bürger in der Nähe der Zeche genossenschaftlich organisierte "Schnapskasinos", die ihren Mitgliedern zur richtigen Zeit zu erschwinglichen Preisen Bier und Branntwein anbieten. Schon bei der Erteilung der Schankerlaubnis legen die Behörden strengste Maßstäbe an, weil sie in den "Etablissements vor allem Stätten der sozialdemokratischen Bewegung" sehen. Die Polizei kontrolliert die Kasinos deshalb sehr genau.

Und dann erreicht die Straßenbahn das Dorf doch! Als erste Osterfelder kommen die Bewohner der Kolonie Eisenheim im April 1897 in den Genuß des neuen Nahverkehrsmittels. Sie können nämlich schnell mit der Linie 1, deren Strecke über die Provinzialstraße (heute Sterkrader Straße) verläuft, Oberhausen oder Sterkrade erreichen. Zwei Jahre später (1899) verlängern die Oberhausener Straßenbahnen  ihre Linie 2, die seit April 1897 bis zum Walzwerk Neu Oberhausen verkehrt, über die Emscher zunächst bis zur St. Pankratius-Kirche und ab Mai 1901 über die Hauptstraße (heute Bottroper Straße) und die Zechenstraße und Sterkrader Straße (beide bilden heute die Vestische Straße) bis Sterkrade.

Geschichte 20
Bild 20: Straßenbahnzug der Linie 2 vor der Pankratiuskirche 1958

Viele Bürger im Dorf wehren sich gegen die Weiterführung nach Sterkrade, weil sie befürchten, dass durch die Abspannung des Fahrdrahtes ihre Häuser einstürzen könnten. Außerdem sehen sie ein erhebliches Sicherheitsrisiko für ihr Vieh, wenn sie es von Weide über die Straße nach Hause treiben. Um den Plan trotzdem zu realisieren, führt die Straßenbahngesellschaft schließlich den Fahrdraht an Masten mit Auslegern, sie benutzt also die Häuser nicht als Abspannpunkte. Die Sicherheitsbedenken kann der Gemeinderat mit viel Mühe zerstreuen.

Geschichte 21
Bild 21: Straßenbahn Linie 2 auf der Sterkrader (heute Vestische) Straße, 1925

Seit 1898 beliefert eine private Gasanstalt die Gemeinde mit Leuchtgas. Gaslaternen beleuchten die Straßen und Plätze im Ortskern, viele Häuser werden ebenfalls aus dem Netz versorgt.
Zur Jahrhundertwende leben in Osterfeld 12.177 Menschen. Die Zeche Osterfeld fördert mit einer Gesamtbelegschaft von 2.050 Mann 2.000 t/d. Sie kann die erhöhte Nachfrage nach Kohlen nur mit Überschichten befriedigen. Die dringend benötigten zusätzlichen Arbeitskräfte werben die Agenten ausschließlich in den Ostprovinzen Preußens an. Für die neuen Belegschaftsmitglieder baut die GHH ab 1900 die Kolonie Stemmersberg.
1901 berichtet die Gemeindeverwaltung auf Anfrage dem Landrat:
Handel und Wandel haben sich von 1850 bis 1900 gut entwickelt, so daß der Volkswohlstand hier ruhig als ein recht guter bezeichnet werden kann. Mit der Einwohnerzahl stieg auch die Zahl der Handwerker. Alle haben ein gutes Auskommen.

(Akten des Amtes Osterfeld)

Am 1. April 1901 hebt das Amt Osterfeld die Aufteilung des Gemeindegebietes in Sektionen auf und führt Straßennamen ein. Die Namen der Ortsteile, wie z. B. Eisenheim, Klosterhardt oder Vonderort, sollen bei Adressenangaben nicht mehr verwendet werden.
Die GHH nimmt im Frühjahr des Jahres an der Emscher auf Osterfelder Gebiet ihr neues Grobblechwalzwerk in Betrieb; damit kehrt die Eisenindustrie, die seit der Stillegung der Antony-Hütte 1877 nicht mehr vertreten ist, in den Ort zurück.
Anfang 1903 kauft die Gemeinde das Gaswerk, das von der Gas- und Wasserwerk AG in Berlin betrieben wurde.
Das Gas – Wassergas – wird aus Coaks und Wasser gewonnen. Es gibt ein helles, angenehmes Licht. Leider ist es im Gebrauch teurer als Kohlengas, weshalb man wohl über kurz oder lang das Werk in eine Kohlengasanstalt umwandeln wird.

(Chronik Pankratiusschule)

Gleichzeitig versorgt die Stadt Oberhausen anstelle der GHH Osterfeld mit Trinkwasser.
Im September desselben Jahres (1903) geht als zweites Bergwerk in Osterfeld die ebenfalls zur GHH gehörende Zeche Vondern in Betrieb. 1905 fördern hier schon 1.300 Bergleute 275.000 t Kohle. Für die Belegschaft der neuen Zeche baut die Gesellschaft 1906 im Ortsteil Vondern auch noch eine Kolonie. Beide Osterfelder Zechen beschäftigen zusammen 5.300 Mitarbeiter, in der Gemeinde leben 20.148 Menschen.

Geschichte 22
Bild 22: Zeche Vondern 1925

Aber nicht nur der Bergbau, sondern auch der Eisenbahnbetrieb wächst und gedeiht. Der Bahnhof Osterfeld Süd gilt als der größte Eisenbahnknotenpunkt im Ruhrgebiet. 1906 werden im Rangierbahnhof 773.000 Waggons umgeschlagen; 149.000 Reisende erreichen oder verlassen Osterfeld über den Personenbahnhof. Deshalb nehmen die Osterfelder Ratsmitglieder am 25. April 1907 mit Befriedigung zu Kenntnis, dass der Kreisausschuß in Recklinghausen den Antrag des Amtes Osterfeld unterstützt, den Königlichen Eisenbahnfiskus zur Einkommensteuer heranziehen zu dürfen. Bezogen auf die örtlichen Umsätze der Eisenbahnverwaltung handelt es sich um eine Steuerschuld von etwa 23.000 Mark jährlich.
Schon vor der Jahrhundertwende reicht die Gemeindeverwaltung beim Landrat die Pläne für eine Kanalisation des Ortskernes ein. Die vorgesetzte Behörde kann sich nur schwer zu einer Genehmigung durchringen, weil die Abwässer ungeklärt in die Emscher fließen sollen. Schließlich darf das Projekt nach vielen Änderungen mit Auflagen realisiert werden. 1908 ist der erste Bauabschnitt fertiggestellt.
Im nächsten Jahr können die Osterfelder auch mit der Straßenbahn nach Bottrop fahren, denn die Vestische Kleinbahn GmbH nimmt ihre Linie 18 bis zur St. Pankratius-Kirche in Betrieb. Gleichzeitig hat die erwähnte Fahrpostverbindung ausgedient.
1909 kommt ein weiterer technischer Fortschritt nach Osterfeld: das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk versorgt den Ort mit elektrischer Energie. Viele der 4.780 Haushalte können nun wählen, ob sie ihre Wohnung weiterhin mit Gas oder lieber elektrisch beleuchten wollen.

Die geringe Vorflut der Emscher zum Rhein führt immer wieder zu unangenehmen Überschwemmungen, große Flächen drohen sogar zu versumpfen. Der Steinkohlenbergbau verstärkt die Probleme durch die beim Kohlenabbau entstehenden Bodensenkungen zusätzlich. Deshalb beschließt die Emschergenossenschaft, den Fluß, der mittlerweile die gesamten Abwässer des Industriegebietes führt, zu kanalisieren.

Geschichte 23
Bild 23: Emscherhochwasser oberhalb der Waghalsbrücke um 1900

Die Bauarbeiten beginnen 1906 in Walsum. Mitte 1910 ist der erste Teil des Kanals bis Osterfeld fertig. Durch die Senkung des Wasserspiegels um 4 m erhält die Kanalisation in Osterfeld die nötige Vorflut. Über eine riesige Schleuse soll die Emscher hier zu gegebener Zeit in ihr neues Bett geleitet werden. Am 9. Dezember 1910 kommen die Verantwortlichen mit einem blauen Auge davon: an diesem "schwarzen Freitag" bricht das Einlaßwerk aus unbekannter Ursache, und die Wassermassen bahnen sich, glücklicherweise ohne Schaden anzurichten, unplanmäßig ihren Weg.

Geschichte 24
Bild 24: Emscher nach der Kanalisierung in Höhe der Zeche Vondern.

1910 leben in Osterfeld schon 26.527 Menschen, die beiden Zechen bieten 7.150 Arbeitsplätze mit steigender Tendenz. Denn im August 1913 geht ein weiteres Bergwerk der GHH – es ist das dritte und gleichzeitig das letzte in Osterfeld –  in Betrieb: die Zeche Jacobi. Sie liegt im Ortsteil Klosterhardt und fördert bis zum Jahresende mit einer Gesamtbelegschaft von 550 Mann 58.000 t Kohle. Viele Bergleute finden in der zugehörigen Kolonie eine Wohnung.

Umweltschutzprobleme sind gar nicht so neu, wie man manchmal glauben möchte. Schon vor dem ersten Weltkrieg fordert die Osterfelder Verwaltung, veranlaßt durch massive Bürgerproteste, von der Regierung in Münster, den Betrieb von Formsandgruben nur dann zu genehmigen, wenn die Unternehmer die von ihnen abgeholzten Wälder nach der Betriebseinstellung wieder aufforsten. Ob die Behörde ihr Genehmigungsverfahren daraufhin ändert, muß dahingestellt bleiben. Tatsache ist jedoch, daß viele aufgegebene Sand- und Kiesgruben sich selbst überlassen werden.
Kurz vor Ausbruch des Krieges eröffnen die Behörden am 10. Juli 1914 den Rhein-Herne-Kanal wegen der gespannten politischen Lage ohne die sonst üblichen großen Feierlichkeiten. Ein Schlepper zieht zum ersten Male die Lastkähne Sleipner, Helene, Thalia und Vesalia über die 38 Kilometer lange Kanalstrecke von Ruhrort an Osterfeld vorbei nach Herne.
Die Fahrt ging gut vonstatten, die Schleusen arbeiteten tadellos. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt für einen Schleppzug mit vier beladenen Schiffen fünf bis sechs Kilometer in der Stunde, so daß die Schiffer für die Fahrt von Ruhrort nach Herne und zurück einschließlich einer eintägigen Ladefrist drei Tagen rechnen können.

(General-Anzeiger vom 11.07.1914)

Geschichte 25
Bild 25: Schleppzug auf dem Rhein-Herne-Kanal 1949.

Der 1946 ausgebrannte Gasometer ist noch im Wiederaufbau.

Nur wenige Tage später, am 3. August 1914, steht Osterfeld im Zeichen der Mobilmachung.
Groß und erhaben ist die Begeisterung für den Kampf ums liebe Vaterland in den ersten Mobilmachungstagen. Die Gesichter der zu den Fahnen Eilenden sind alle zuversichtlich u. froh erregt, als ginge es zu einem Festtag. Reserve- und Landwehrleute werden in Marschkolonnen von den einzelnen Vereinslokalen, wo sie sich zum Abschied versammelt haben, mit Musik u. von Verwandten, Bekannten, Freunden etc. zum Bahnhof geleitet. Links u. rechts an den Straßen zur Bahn u. am Bahnhof bildet das Volk Spalier…
Der Bahnhof Osterfeld-Süd ist Verpflegungsstation für unsere wackeren Krieger. Große Scharen ziehen dorthin, um die Braven zu begrüßen u. sie mit Speisen u. Trank zu versorgen…

(Chronik der Weierschule)

Geschichte 26
Bild 26: Mit Begeisterung auf dem Weg zur Front.

Je länger der "Kampf ums liebe Vaterland" dauert, desto mehr schwindet der Enthusiasmus. Denn der Krieg fordert bald auch von der Zivilbevölkerung Opfer. Am 15. März 1915 führt das Deutsche Reich erstmals Lebensmittelkarten ein. Sie gehören ab sofort zum Alltag der Menschen. Schon im ersten Kriegsjahr reichen die an die Familien von Kriegsteilnehmern überwiesenen Gelder zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus. Eine Frau mit vier Kindern erhält monatlich nur 63 Mark, obgleich nach einer Untersuchung der Neuen Oberhausener Zeitung wenigstens 71,10 Mark erforderlich wären. Die GHH richtet wie viele andere Betriebe einen privaten Hilfsfonds ein, und die Gemeinde Osterfeld stellt zusätzliche Gelder für die Einrichtung von Volksküchen bereit, um die größte Not zu lindern.
Im Januar 1917 verschlechtert sich die Versorgung der Bevölkerung mit Textilien, Kohlen und vor allem mit Lebensmitteln von Tag zu Tag. Nicht einmal die immer wieder gekürzten Rationen stehen zur Verfügung. Die Menschen versuchen, ihre Lage durch Kleintierzucht oder Gemüse- und Kartoffelanbau auf jeder noch so kleinen Freifläche zu verbessern. Nach einer äußerst schlechten Kartoffelernte liefert die Landwirtschaft als Ersatz Steckrüben in solchen Mengen, daß der Winter 1916/17 als "Steckrübenwinter" in die deutsche Geschichte eingeht.

Nur selten veröffentlichen die Tageszeitungen Meldungen wie die folgende:

An Stelle der fehlenden Kartoffeln werden in dieser Woche ausgegeben:
Ein Pfund Brot und 100 Gramm Mehl für jede Person gegen Hergabe des Bezugscheines Nr. 30 in den Brot- bzw. Mehlverkaufsstellen;
morgen ½ Pfund entweder Graupen, Nudeln, Grieß, Haferflocken, Gerstengrütze oder Hülsenfrüchte in den bekannten Geschäften gegen Hergabe der für die laufende Woche gültigen Kartoffel-Bezugscheine. Die Waren erhält nicht, wer noch Kartoffeln besitzt. Die Teilnehmer der Massenspeisung erhalten nur Brot und Mehl. Sonder-Mengen an Brot, Mehl und sonstigen Lebensmitteln werden auch in der kommenden Woche an Stelle von Kartoffeln zur Ausgabe gelangen.

(General-Anzeiger vom 7. Februar 1917)

Dem Mangel an Buntmetallen fallen 1917 nicht nur Kirchenglocken zum Opfer. Selbst das Kaiser-Wilhelm I-Denkmal, das seit fast 20 Jahren gegenüber dem Amtshaus steht, wird demontiert und eingeschmolzen. Auch die Anzahl der umlaufenden Münzen nimmt von Tag zu Tag ab. Damit der Zahlungsverkehr in den Geschäften nicht zum Erliegen kommt, bringt das Amt Osterfeld Ersatzgeldscheine zu 10 Pfennig und 50 Pfennig in Umlauf.

Geschichte 27
Bild 27: Kaiser Wilhelm I vor dem Rathaus

In dieser Zeit, in der genügend andere Aufgaben die volle Arbeitskraft erfordern, wird die Osterfelder Verwaltung mit einem Problem konfrontiert, das ihr auch zukünftig zu schaffen macht: die örtliche Presse denkt laut über eine Eingemeindung nach Oberhausen nach, obgleich (oder weil ?) die Osterfelder für ihre Gemeinde die Stadtrechte anstreben.
Wir wollen uns recht klar vor Augen halten, welche innige Wechselbeziehung zwischen Oberhausen und Osterfeld besteht, wie eng die beiderseitigen Interessen verschmolzen sind, und welche praktischen Vorteile aus dem innigen Zusammenhang erwachsen, den sowohl die örtliche Einheit, wie sie heute die beiden Stätten der Schwerarbeit zusammenfaßt, als auch die Verschmelzung durch die G.H.H. darstellt. Osterfeld vermag trotz seiner 30.000 Seelen nicht zu den erstrebten Zielen zu gelangen, da es zwischen Oberhausen, Sterkrade und Bottrop eingekeilt ist. Es fehlt der aufstrebenden Zechengemeinde nicht an zielbewußter Tätigkeit, und doch verwehrt ihr auf Dauer die unglückliche Zwischenlage eine freie Entwicklung.

Die Tatsache, daß die Osterfeld-Gruben nur Filialen der Oberhausener Hütte sind und die andere Tatsache, daß Osterfeld trotz seiner beiden Eisenbahnstationen infolge der Nähe Oberhausens sich nicht zu einem bedeutenden Verkehrspunkt emporarbeiten kann; dazu der Umstand, daß ihm jegliche Körperschaften und selbständigen Unternehmungen fehlen, die ihm eine steuerkräftige Schicht zuführen könnten, – all dies wirkt zusammen, um Osterfeld eine Aufwärtsbewegung zu versagen, wie sie ein Platz von der Größe der Emschergemeinde zu seiner Zukunftsgestaltung braucht.

(General-Anzeiger vom 7. Februar 1917)

Anfang November 1918 überschlagen sich die Ereignisse. Am 9. November dankt Kaiser Wilhelm II ab und geht nach Holland ins Exil. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert übernimmt die Geschäfte des Reichskanzlers. Am 11. November beendet ein Waffenstillstandsvertrag den verlorenen Krieg. Der Chronist der Pankratiusschule überliefert die gedrückte Stimmung der Bürger Osterfelds nach der Niederlage:
Am 11. November wurde der uns von den Feinden auferlegte Waffenstillstand, dessen Bedingungen sozusagen den Ruin Deutschlands bedeuten, unterzeichnet. In diesem wurde verlangt: Räumung nicht bloß der von uns besetzten Gebiete, sondern des ganzen linken Rheinufers sowie die Übergabe von Mainz, Köln u. Koblenz… Wir müssen 5.000 Kanonen, 50.000 Maschinengewehre, 3.000 Minenwerfer, 2.000 Flugzeuge, 5.000 Lokomotiven u. 150.000 Eisenbahnwagen abliefern u. die feindlichen Besatzungstruppen unterhalten. Diese Bedingungen sind gleich vollständiger Wehrlosmachung… Nicht auf unsere Krieger fällt die Schuld an diesem Ausgange; sie haben bis zum letzten Augenblick durchweg ihre Pflicht treu erfüllt u. sind darum in der Heimat auch mit gebührenden Ehren empfangen worden.
Zu diesem traurigen Ergebnis haben neben der erdrückenden Übermacht unserer Feinde auch innere Verhältnisse mitgewirkt: Unzufriedenheit mit so manchen behördlichen Anordnungen, sowie nach dem Berichte der heimgekehrten Krieger ein nicht immer mustergültiges Leben mancher Vorgesetzten im Heere, geheime Wühlarbeit staatsfeindlicher Elemente daheim u. bei den Truppen, dann auch die weite Kreise durchdringende Glaubens- und Sittenlosigkeit.

(Chronik der Pankratiusschule)

Die Zeit nach dem Kriege ist durch viele Streiks und Unruhen geprägt. Einmal versucht der Spartakusbund das Rätesystem durchzusetzen, dann verlangen die Bergleute die Einführung der Sechsstundenschicht bei vollem Lohnausgleich, beide Gruppen unterstreichen ihre Forderungen durch Arbeitsniederlegungen. Freikorpseinheiten gehen mit äußerster Härte gegen die Demonstranten vor, die sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr setzen. Die Folge dieser Auseinandersetzungen ist die Verhängung des Belagerungszustandes über das Ruhrgebiet am 31. März 1919. Das Leben in der Gemeinde verläuft jedoch vergleichsweise ruhig. Die Pfarrchronik St. Antonius Osterfeld berichtet:
Zu den schlimmsten Brutstätten der Spartakisten im hiesigen Kohlenrevier gehörten vor allem Hamborn, Mülheim und Düsseldorf. Von dort kamen große Scharen herüber nach Osterfeld, Sterkrade und Bottrop. Sterkrade und Osterfeld, welche sich sofort ergaben, um Blutvergießen zu verhüten, blieben von schlimmen Gewalttätigkeiten verschont. Anders Bottrop. Hier verei-nigten sich Bürgerwehr und Polizei zum Widerstand. Infolge dessen kam es dort vom 19.02. bis 22.02.1919 besonders in der Umgebung des Rathauses zu blutigen Kämpfen, bei denen 16 Bottroper Bürger ihr Leben einbüßten. Am 22.02.19 kam von Gladbeck Hilfe durch die Regierungstruppen und Bottrop wurde befreit.

Auch der Polizeibericht des Amtes Osterfeld hält nur wenige Zwischenfälle fest, bei denen es meist um die Beschaffung von Lebensmitteln durch die Spartakisten geht.
An den letzten Tagen sind in etwa 25 Geschäften Lebensmittel, besonders Brot unter Androhung von Gewalt fortgenommen worden. In einzelnen Fällen hat man das Brot zwar bezahlt jedoch keine Marken abgegeben; weiter hat man die hiesigen 10 Landwirte aufgesucht und Lebensmittel, in der Hauptsache Speck erpreßt, in einigen Fällen hat man auch Futter für die Pferde genommen.
Am 22. Februar nachmittags gegen 5¾ Uhr ist das hier vor dem Amtshause aufgestellte Geschütz von etwa 12 Spartakisten unter Leitung des Bergmanns Jüngst, hierselbst wohnhaft, fortgefahren worden. Wie hier im Orte allgemein erzählt wurde, ist das Geschütz von den Spartakisten in der Nähe der Zeche Jakoby in Feuerstellung gefahren, um bei einer Wiederaufnahme der Arbeit die ganze Schachtanlage der genannten Zeche zusammenzuschießen.
Am 23. Februar vormittags wurden dem Gutsbesitzer Dr. Ostrop und dem Betriebsinspektor [der Zeche Osterfeld] Zimmermann je ein Pferd sowie dem Betriebsinspektor [der Zeche Jacobi] Unterberg ein Pferd mit Wagen zwangsweise unter Bedrohung mit Waffen fortgenommen.

Aus Anlaß der Vorgänge in Bottrop war die hiesige Bevölkerung sehr beunruhigt. Widerstand wurde in keinem Falle geleistet; dies wäre auch vollständig zwecklos gewesen, da die Spartakisten bestimmt mit Waffengewalt vorgegangen wären.

(Akten des Amtes und der Stadt Osterfeld)

Am 27. April endet die Streikwelle. Die Betriebe arbeiten jedoch nur wenige Monate lang normal. Denn die katastrophale Versorgung mit Lebensmitteln sorgt für eine dauernde Nervosität in der Bevölkerung. Im Winter 1919/20 droht sogar eine ähnliche Krise wie 1916/17. Das führt auf den drei Osterfelder Zechen immer wieder zu spontanen Arbeitsniederlegungen, die manchmal nur Stunden aber nie länger als eine Schicht dauern.
Der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch im März 1920 beschränkt sich in Osterfeld auf die Zechen und das Gewerbe. Die Beamten in der Gemeindeverwaltung, sowie bei der Polizei, Eisenbahn und Post arbeiten dagegen weiter. Viele der streikenden Arbeiter formieren sich in der "Rote Ruhr-Armee" und schlagen die Freikorps, die den Staatsstreich unterstützen, vernichtend.
Der Umsturzversuch scheitert. Die Ruhr-Armee löst sich jedoch nicht auf, sondern übernimmt praktisch die Macht im Ruhrgebiet. Osterfeld wird am 20. März 1920 kampflos besetzt. Ein "Vollzugsrat" beginnt unverzüglich mit seiner Arbeit. Er beläßt allerdings die gesamte Gemeindeverwaltung im Amt und greift auch nicht in die Betriebsführung der Zechen ein. Ebenso bleibt die entwaffnete Polizei zur Unterstützung der "Wachmannschaften" im Dienst.
Die "Diktatur des Proletariats" dauert nur bis zum 3. April 1920. An diesem Karsamstag rücken starke Reichswehrverbände über Sterkrade in die Gemeinde ein, ohne Widerstand zu finden. Trotzdem kommen insgesamt 13 Menschen zu Tode. Neun von ihnen werden auf dem Hof der Wirtschaft Husemann standrechtlich erschossen, vier weitere sterben in Eisenheim durch ein Artilleriegeschoß.

Aber so düster auch die Gegenwart noch erscheint, an der Zukunft brauchen wir nicht zu zweifeln, denn wir haben Menschen und Rohstoffquellen, zwei zum Wiederaufbau in erster Linie notwendige Elemente. Der Menschenzustrom hat schon wieder eingesetzt und der Kohle gehört die Zukunft.

(Grünewald, 1922)

Natürlich interessiert sich auch die Regierung für die Vorgänge im Ruhrgebiet. Deshalb fordert der Landrat im Sommer von allen Gemeinden einen Bericht in dieser Angelegenheit an.
Der Osterfelder Polizeichef schreibt:
Nachdem die rote Armee seinerzeit über Osterfeld hinaus vorgedrungen war, hat der hiesige Vollzugsrat am 22.3.20 hier ein Werbebüro für die rote Armee eingerichtet.
Etwa 300 – 400 Mann wurden durch dasselbe angeworben und als "Kompagnie Osterfeld" der roten Armee angegliedert. Die Bewaffnung und Ausrüstung der Angehörigen dieser Kompagnie erfolgte nicht hier sondern an der Front. Außerdem bestand hier für Osterfeld noch eine Abteilung sogenannter Wachmannschaften…

(Akten des Amtes Osterfeld)

© 2000 Fritz Pamp

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